Der Kapitalmarkt ist schuld am Streamer-Boom. So einfach könnte die Erklärung für die aktuellen Entwicklungen bei den Major-Studios lauten. Abo-Dienste suggerieren Investoren vermeintlich sichere Umsätze. Diese werden dann mit einem höheren Faktor bewertet und führen zu leichterem Zugang zu Kapital für die Anbieter. Die Studios konnten über die eigenen Streamingangebote hohe Produktionskosten für Filme abschreiben. Die Korrektur der Netflix-Aktie und gleichzeitig der überragende Erfolg von klassischen Blockbustern im Kino zeigen Wirkung. Die ganz Großen glauben wieder an die Kraft der großen Leinwand. Wenn das Kino seine Bedeutung zurückgewinnt, ist das eine gute Nachricht, vor allem für die unabhängigen Filmproduzenten.
Der Bahnhofsbäcker kennt seine Kunden meistens nicht. Abnahmegarantien hat er auch nicht. Aber er weiß, wieviel er von welchen Brötchen wahrscheinlich verkaufen wird. Läuft alles nach Plan, kann er seine Kosten decken und macht Gewinn. Verkalkuliert er sich, klappt es nicht. Etablieren sich All-You-Can-Eat Flatrates, bekommt er ein Problem und die zuliefernden Backfabriken auch. Sie können sich kurzfristig umorientieren und nun auch für die Flatrate-Anbieter backen - die Großen besser als die Kleinen.
Im Kinomarkt drohten, unabhängige Filmproduzent*innen auszusterben. Das Momentum für eine Trendwende ist da. WMD hat sie bereits verkündet, die Verleiher hatten schon durch den gigantischen Erfolg von „Maverick“ berechtigte Hoffnung auf eine Renaissance des Kinos. Das ist längst nicht das Ende der Fahnenstange.
Netflix besetzte mit seinem Programm zunächst die „edgy“ Nische mit einem Programm, das man sonst nur auf Festivals zu sehen bekam. Herausragende Qualität auf dem heimischen Fernseher in großer Vielzahl. Durch die Fusion der US-Major-Studios Disney mit Fox und dem Start des hauseigenen Streamingdienstes Disney+ bebte der Markt. Mainstream-Content würde langfristig nur noch proprietär im eigenen System verwertet werden. Bereits durch PayTV-Anbieter und Amazon Prime wurden werbefinanzierten Fernsehsendern immer wieder die Zielgruppen gestohlen. Die große Masse der Fernsehzuschauer blieb zunächst beim Free-TV oder den etablierten Abo-Modellen des Kabelfernsehens. Jetzt wurde es richtig eng. Die Sender stellten immer mehr auf Factual, Show und Entertainment um – mit großem Erfolg. Durch die globalen Programmreformen wurde gleichzeitig auch das Filmvermögen von Studios und Streamern abgewertet. Wer keine Programmplätze hat, kommt als potenzieller Käufer nicht in Frage.
Für unabhängige Produzenten wurde es gleichzeitig ungemein schwerer, noch eigene IPs, also eigene Werte, zu schaffen. Der Markt für Auftragsproduktionen war zwar inzwischen riesengroß, aber beim Börsenbeben von Netflix bekam man eine Ahnung, wie wenig übrigbleiben könnte, wenn bei Sendern keine Fiction und bei Streamern kein Geld bleibt. Unter diesem Marktdruck gerät das kulturelle Filmerbe einer ganzen Generation ins Abseits. Ohne eigene Produktionen werden wichtige Impulse und gesellschaftliche Entwicklungen möglicherweise zu wenig über filmische Arbeiten reflektiert. Zurück bleibt das von Redaktionen und Einkäufern nach anderen Maßstäben choreografierte Auftragsprogramm. Eine repräsentierende, gesamtgesellschaftliche Ausgewogenheit mag da höchstens per Zufall entstehen.
Umso wichtiger ist die Entscheidung von Warner Bros. Discovery, wieder vermehrt auf Kino zu setzen. „Ruhe bitte, wir drehen!“, könnte diesen Kurswechsel um 180 Grad am besten beschreiben. Die gigantische Cashcow „Box Office“ werden die anderen Studios kaum kampflos abgeben und so können wir uns über die aktive Bespielung des Kinos, die Bewerbung von Kinofilmen und die Aufwertung desselben erfreuen. Je gesünder und beliebter die Kinos, desto mutiger die Verleiher, desto stabiler Produktionsfinanzierungen. Jetzt müssen nur noch die Sender entsprechende Sendeplätze für heimische Filme schaffen – den sogenannten Local Content.
Dein Ensider:Team